Der Architekt des Grauens

Peter Paniks famose Horrorshow

Wer Peter Panik kennt, lässt sich leicht zu der Annahme verleiten, die Furcht allein wäre für ihn schon schlimm genug.

 

Man möchte meinen, die pechschwarze Anomalie in seinem limbischen System entspringe dem Unbehagen vor den allerorts lauernden Todesgefahren, speise sich aus dem Horror vor dem frostigen Abgrund des Universums und nähre sich aus der weit reichenden Unerträglichkeit des Seins. Es läge auf der Hand, das wesentliche Hemmnis seines Lebens in dem grotesken Bündel aus Phobien zu sehen, das er stets mit sich herumträgt: Er leidet sowohl an Klaustrophobie als auch an Agoraphobie, kann sich also nirgends ohne Zittern und Zähneklappern aufhalten. Fortgeschrittene Stadien der Arachnophobie, Canophobie, Ornithophobie, Bacteriophobie, Soziophobie, Aviophobie, Photophobie, Phonophobie und Technophobie schränken seinen Lebensradius weiter ein, machen sich in seinem Persönlichkeitsprofil breit wie fett gefressene Nacktschnecken und lassen keinen Raum für nennenswerte Charaktereigenschaften. Durch seine ausgeprägte Spektrophobie, also die Furcht vor dem Blick in den Spiegel, weiß er nicht einmal genau, wie er eigentlich aussieht.

 

Doch all das ist nichts gegen seine ständige Begleiterin, die Angst. Und die Angst vor der Angst. Und die Angst vor der Angst vor der Angst, die allgemeine, namenlose, frei flottierende, ungerichtete und diffuse Beklemmung, die jeden noch so sonnigen Tag überschattet und mit ihren schraubstockartigen Klauen seine Kehle stets fest umschlossen hält, oft so fest, dass sein ohnehin flacher Atem zu einem hündischen Hecheln verkommt, und immer zumindest so fest, dass es Körper und Geist an Sauerstoff mangelt. Bisweilen reicht ein unerwartetes Knacken im Parkett oder ein ungeplantes Gluckern im Abfluss, dass die Klaue plötzlich zupackt, seine Eingeweide verknotet, seine aufgeblähte Amygdala beutelt und jene Kaskade von heißkalten Regungen auslöst, durch die Peters Leben zum Drehbuch eines Alptraums wird, die Sekunden zu qualvollen Jahrhunderten werden lässt, in denen eine kochende Sturzwelle aus Stresshormonen durch seine Adern rauscht, der kalte Schweiß zu Boden tropft und das Herz wie ein betrunkener Trampolinspringer die Rippen durchschüttelt.

 

Seine sieben Psychiater, zwischen denen er je nach Tagesverfassung hin- und herwechselt, weil er manchmal vor dem einen, manchmal vor dem anderen Arzt mehr Angst hat, verorten die Wurzel seines Problems in unterschiedlicher Weise und therapieren ihn mit Traumdeutung, Hypnose, Elektroschocks, Bachblüten, Drill und Familienaufstellung, fügen seinem ohnehin schon schweren Gefühlsrucksack letztendlich jedoch nur noch zusätzliche Schuldgefühle und Versagensängste hinzu.

 

Die Frühsozialisierung mag seinem komplexen Neurotransmitter-Cocktail jedoch durchaus ein Quäntchen Gift hinzugefügt haben. Als jüngster Sohn eines polnischen Okkultistenpärchens war Peter von Kindesbeinen an nicht nur einer umfassende Unterweisung in den allgemeinen Bedrohungen der Geisterwelt ausgesetzt, sondern auch einem nicht versiegen wollenden Strom aus Echtzeitwarnungen vor den Saaten des Bösen, die sich immer und überall einnisten, jederzeit keimen und – vor allem in Peters Kopf – grellbunte, stachelige, fauchende Blüten treiben konnten.

Doch weil der kleine Peter schreckliche Angst vor dem Verlassensein hatte, hörte er den schwurbeligen Ausführungen seiner Eltern aufmerksam zu, musterte mit großen Augen die unheilvollen Buchstaben, die sich auf dem Ouija-Brett formten, und klammerte sich verschreckt an seinen Vater, wenn die Mutter wieder einmal mit dem sonoren Bass eines verstorbenen Dichters rabenschwarze Verse rezitierte.

 

Insofern ist es nachvollziehbar, dass sein ganzes Leben eine einzige Vermeidungshandlung darstellt. In der Schule tat er alles, um keine Kritik auf sich zu ziehen, hatte aber mindestens genauso viel Schiss davor, durch Erfolge aufzufallen, weshalb er doch einiges an Wissen in sein gepeinigtes Hirn stopfte und schließlich mit Hilfe diverser Neuroleptika, Tranquillantien, Psychostimulantien und Spirituosen die Universitätsreife erlangte. 

 

Wenig später schrieb er sich an der Westpommerschen Technischen Universität Stettin im Fach Architektur ein. Einerseits bot ihm diese Hochschule ein erdbebensicheres Studentenheim mit Atombunker, andererseits war der elterliche Kartoffelkeller in Gehweite, und dies war der einzige Ort, an dem er sich hauptsächlich aus nostalgischen Gründen halbwegs sicher fühlte. Architektur hatte er aus dem einfachen Grund gewählt, dass er den Bau einer absolut sicheren Behausung anstrebte, in der er den Rest seines Lebens zu verbringen gedachte. Mit seinen penibel ausgearbeiteten Planskizzen eines fünffach ineinander verschachtelten fensterlosen Tetraeders aus hochfestem Kohlenstoffstahl, der noch dazu 50 Meter unter der Erdoberfläche liegen sollte, machte er sich schnell zum Gespött der Kommilitonen und Professoren.

 

Da die Panikattacken ihn mittlerweile täglich, bisweilen sogar stündlich heimsuchten, verließ er seine Alma Mater zwei Wochen vor dem Abschlussexamen und schloss sich ein halbes Jahr im Kartoffelkeller ein, um seine Lage zu überdenken. 

 

Die Frage, wie er zum Schreibclub kam, ist schnell beantwortet: Im Kartoffelkeller gab es ein schwaches Mobilfunknetz, und obwohl die Weiten des Internet für Peter fast so grauenerregend waren wie die Angst vor der Angst vor der Angst, stieß er über einen Friendly Link auf der Versandapotheke seines Vertrauens, deren Betreiber nebenbei gesagt kein Geringerer ist als das arrivierte SC-Mitglied Doma Apothekerkind, durch Zufall auf die Website des Schreibclubs. Sofort wurde ihm klar, dass dieser schmatzende, schlürfende, herumpolternde, grölende, saufende, schnarchende, sabbernde, hüftschwingende Haufen mehr Sicherheit bot als jeder Atombunker: Alle bösen Mächte und kriminellen Elemente, ja selbst die Naturgewalten wären von der Wanstigkeit und Kakophonie des Schreibclubs so dermaßen abgelenkt, dass er, Peter Panik, im Auge dieses beschwipsten Wirbelsturms endlich, endlich den lang ersehnten Seelenfrieden finden würde.

Seitdem ist er dem Club aller Clubs ein treuer, stiller Mitstreiter geworden, der sich tagein, tagaus im Schreibclub-Hauptquartier unter dem Sofa zusammenkringelt, dann und wann eine Lachsterrine aus der opulent ausgestatteten Schreibclubküche entwendet und einen Horrorbestseller nach dem anderen in sein Smartphone tippt. Die Erlöse aus dem Buchverkauf – selbstverständlich unter einem Pseudonym (Stephen King) – überweist er zur Gänze dem Schreibclub, auf dass dieser bis in alle Ewigkeit lärme, singe, und tanze und eine bunte, fröhliche Oase der Ruhe für zukünftige Phobikergenerationen erschaffe. 

 

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