Als die Pizza das Tanzen lernte.

Das Leben und Lachen des Pippo Zanzani

Filippo Arturo Massimiliano Mascarpone Zanzani wurde am 18. Juni 1974 in Gran Sorriso, einem hügeligen Vorort von Neapel, geboren.

 

„Pippo“, wie er von Anfang an liebevoll genannt wurde, war der erste – und mit Abstand lustigste – Sohn von Giuseppe „Beppino“ Zanzani, einem bekannten Zirkusartisten und Nostalgie-Kraftprotz, und Maria Antonella Zanzani, geborene Ragusa, die sich zur damaligen Zeit als „Signorina Serpente“ bereits einen Ruf als führende Schlangendame Süditaliens erworben hatte. 

 

Seine Eltern hatten sich im Frühjahr 1973 im Zuge einer besonders schwierigen Zirkusnummer kennen und lieben gelernt, bei der sich ihre Körper derart kompliziert ineinander verschlungen hatten, dass sie erst durch eine mehrstündige Operation wieder getrennt werden konnten – um sich daraufhin nie wieder zu trennen.   

 

Schon im Kreißsaal soll der kleine Pippo die anwesenden Hebammen und Ärzte mit Achselfürzen, Imitationen des italienischen Ministerpräsidenten und anderen derben Späßen unterhalten haben. Eine Laufbahn als Faxenmacher schien also vorgezeichnet – zumal der Vater, bis dahin vertraglich angestellter Kraftmeier, schon bald den Sprung in die Selbständigkeit wagte und seinen eigenen Zirkus gründete.

 

Pippo erwies sich als Naturtalent an Tröte und Spritzblume und stahl den anderen, durch die Bank eher griesgrämig veranlagten Clowns im väterlichen Zirkus schon als Kleinkind die Show. Seine Eltern bestanden jedoch darauf, dass er das traditionsreiche Clownhandwerk von der Pike auf erlernen sollte. Daher schickten sie Pippo mit elf Jahren an die berühmte „Academia della Clowneria“ in San Pasquale. In der ehrwürdigen Kaderschmiede, so die Erwartung, würde Pippo eine solide Ausbildung in Commedia dell‘ Arte, Gesellschaftstanz und Luftschlangenblasen erhalten.

 

Tatsächlich stach Pippo selbst in einer Klasse voller Klassenclowns durch seinen besonders ausgeprägten Hang zum Schabernack hervor. Zugleich zeigte sich jedoch auch damals schon seine mindestens ebenso stark ausgeprägte Schwierigkeit, sich Autoritäten jedweder Art unterzuordnen. Verschärft wurde die Lage durch das Einsetzen der Pubertät, die bei Clowns bekanntlich besonders lange und heftig ausfällt. Mit 14 erhielt Pippo die erste Verwarnung, nachdem er im Schlafsaal der Mädchenklasse eine Tarantella mit offen sexueller Stoßrichtung getanzt hatte. Im Sommer 1991, er war gerade erst 17 geworden, wurde Pippo schließlich von der Schule verwiesen, nachdem er dem gestrengen Direktor Rigoberto Roncalli – gefürchtet für sein humorloses Wesen und seine Schwarze Pädagogik – im Konferenzzimmer eine sizilianische Schaumtorte ins Gesicht geworfen hatte.

 

Nachdem Pippo somit – als erster Schüler in der über 500-jährigen Geschichte des Instituts – wegen „groben Unfugs“ suspendiert worden war, kehrte er enttäuscht und ohne Clownmatura in sein Elternhaus zurück. Dort erwartete ihn gleich die nächste Hiobsbotschaft: Der väterliche Zirkus war zuletzt in immer größere finanzielle Turbulenzen geraten – Kamele und Trapezkünstler warteten teils seit Monaten auf ihr Gehalt – und musste nun zwangsversteigert werden. Als Bestbieter aus dem Verfahren ging der skrupellose Selfmade-Millionär Silvio Berlusconi hervor, der den Zirkus Zanzani sofort seinem wachsenden Unterhaltungsimperium einverleibte.

 

Da Pippo sich standhaft weigerte, für den „Cavaliere“ zu arbeiten – selbst das lukrative Angebot, als Alleinunterhalter zwischen leichtbekleideten Damen auf Berlusconis Bunga-Bunga-Parties aufzutreten, schlug er aus –, musste er das geliebte Zirkusmilieu schweren Herzens hinter sich lassen. In den kommenden Jahren schlug sich Pippo, inzwischen Anfang 20, als Ein-Mann-Band auf Neapels staubigen Straßen durch. Obwohl seine lustigen Klangexperimente mit Flöte und Tröte heute als wichtiger Beitrag zur Clown-Avantgarde angesehen werden, blieb der kommerzielle Erfolg aus.

 

Um überleben zu können, sah sich Pippo am Ende gezwungen, als lebendes Werbeschild bei einer großen napoletanischen Pizzakette anzuheuern. So unglaublich das heute auch anmuten mag, sollte dies der entscheidende Wendepunkt in seinem Leben sein: Denn durch seine gewinnende Art und seine verwegenen Faxen gelang es Zanzani, als Artischocke oder Sardelle verkleidet, so viele Gäste in die Restaurants zu locken, dass schließlich sogar der Geschäftsführer der Kette, der legendäre „Pizza-Pate“ Luigi Pestalozzi, auf ihn aufmerksam wurde. Pestalozzi fand Gefallen an Pippos sonnigem Gemüt und beschloss, ihn unter seine Fittiche zu nehmen – zumal sich rasch herausstellte, dass in Zanzani nicht nur der geborene Possenreißer, sondern auch ein äußerst talentierter und hingebungsvoller Pizzabäcker steckte.

 

Schon bald folgte der nächste logische Schritt: Pippo beschloss, seine beiden großen Begabungen – Clownerie und die Fähigkeit, extra-krosse Pizzaböden zuzubereiten – miteinander zu verbinden: Nach wenigen Wochen hatte er unter dem Arbeitstitel „Pizzaiolo Papageno“ eine komplette Revue erarbeitet, die traditionelles Teighandwerk und Pantomime in bis dahin ungekannter Weise zusammenführte: Mit seinen tänzerischen Einlagen am und bisweilen auch im Pizzaofen, der gekonnten Jonglage mit Eiern und Oliven oder einem atemberaubenden Hochseiltanz auf zähen Käsefäden begeisterte Zanzani – das Gesicht mit Mehl bestäubt und mit Tomatenmark als Schminke – nicht nur das Küchenpersonal, sondern bald schon hunderte Besucher in den Restaurants.

 

Bis 1999 legte Pippo, kaum 25, einen rasanten Aufstieg zum Juniorpartner von Pestalozzis Pizzakette hin – und konnte sich schließlich einen Herzenswunsch erfüllen: Er kaufte den elterlichen Zirkus von Silvio Berlusconi (der damals kurz vor seiner zweiten Amtszeit als italienischer Premierminister stand) zurück und machte die Vorführungen binnen einer Saison wieder profitabel.

 

Zunächst war Pippo überglücklich: Endlich konnte er ohne finanziellen Druck seiner alten Leidenschaft als Zirkusclown frönen – und sie zugleich mit seinen jüngsten Erfahrungen im Pizzawesen kombinieren. Das Ergebnis war ein völlig neues kulinarisch-artistisches Gesamtkunstwerk: Pizzagenuss im Zirkus und Zirkusrevuen in der Pizzeria. Schon nach einem Jahr eröffnete der Zirkus Zanzani Filialzelte in Mailand und Turin, bald darauf in halb Europa. Pippos Soloshows waren schon Wochen im Vorhinein ausverkauft, Frauen, Kritiker und sogar die Bosse der Camorra lagen ihm zu Füßen, bereit, seine überdimensionalen Clownsschuhe zu küssen. Kurz: Zanzani, gerade 30 geworden, stand am Gipfel seiner Popularität und seines kommerziellen Erfolges.

 

Doch ausgerechnet in dieser Phase schlitterte der sonst so fröhliche Faxenmacher in eine tiefe Sinnkrise, die über das typische Burnout eines Clowns im mittleren Alter weit hinausging. Pippo berichtete Freunden über ein Gefühl der inneren Leere, beklagte immer öfter, dass „der Profit den ganzen Spaß zerstört“ habe – und kämpfte zudem mit hartnäckigen Nesselekzemen unter Pappnase und Perücke.

 

Auf Anraten eines befreundeten Clowndoktors entschied sich Zanzani Anfang 2007 für einen radikalen Schritt: Er verkaufte seine gesamten Anteile am Pizza- und Zirkusimperium an chinesische Investoren, sagte die geplante Welttournee im Vorprogramm von KISS ab, schenkte seinen inzwischen pensionierten Eltern ein hübsches Anwesen in der Toskana – und beschloss, ein weiteres Mal ganz neu anzufangen.

 

Im Nachhinein betrachtet, hätte diese Entscheidung zu keinem günstigeren Zeitpunkt fallen können: Denn wie viele andere Betriebe der Teigwaren- und Zirkusindustrie wurde auch Zanzanis ehemaliger Konzern voll von der globalen Subprime- und Mozzarella-Krise des Jahres 2008 erfasst: Binnen weniger Monate landeten hunderte gut ausgebildete Pizzabäcker und Harlekine auf der Straße.

 

Für Pippo Zanzani begann indessen die lange Suche nach spiritueller Selbsterneuerung, die ihn (nach etlichen Irrungen und Wirrungen und einem kurzen, aber turbulenten Zwischenspiel als Go-Go-Tänzer am Off-Broadway) schließlich zu den Navaho-Stämmen in den Nordosten Arizonas führte. Sofort spürte Pippo eine tiefe Verbundenheit zu den Riten und Vorstellungswelten der amerikanischen Ureinwohner – wobei er besonders ihr Interesse an bewusstseinserweiternden Naturwirkstoffen teilte. Anfang 2010 ließ sich Zanzani im abgelegenen Reservat Smiling Willow nieder und absolvierte bei Chief Manuelito Bluefoot, dem geistigen Oberhaupt des Stammes, eine mehrjährige Ausbildung zum Schamanen und Tanztherapeuten. Neben transzendentaler Meditation, Trommelritualen und archaischen Selbstbefriedigungstechniken erlernte er dabei auch den zielgerichteten Einsatz von Meskalin und Psilocybin, die er in der Folge versuchsweise frischem Pizzateig zuführte – und damit, wie er selbst sagt, „bemerkenswerte Ergebnisse“ erzielte.

 

Solchermaßen körperlich und geistig erfrischt, kehrte Pippo Ende 2013 nach Europa zurück. Durch einen glücklichen Zufall – nämlich einen Fortbildungskurs in angewandter Sexualmagie unter der Leitung von Klippo Kraftwerk [LINK] – kam Zanzani in Kontakt mit dem SCHREIBCLUB. Wie zuvor bei den Navaho, fühlte er sich auch hier sofort unter Gleichgesinnten – schließlich entsprach das vielzitierte Schreibclub-Mantra vom „Abfressen und Herumpoltern“ genau seiner kombinierten Lebensphilosophie als Pizzabäcker, Possenreißer und Schamane. Auch die Angewohnheit des Clubs, in Vollmondnächten um offene Feuerstellen zu tanzen, traf Pippos Geschmack. Zudem wusste er von Anfang an den prall gefüllten Medizinschrank des Apothekerkindes [LINK] zu schätzen.  

 

Heute zählt Pippo Zanzani ohne Zweifel zu den beliebtesten Mitgliedern des Schreibclubs – als offizieller Humorbeauftragter des Vereins, als Mitbegründer der anarchistischen Splittergruppe „Merry Pranksters“ (zusammen mit Much Estrichleger [LINK]) und vor allem natürlich als Stimmungskanone bei den Fünf-Uhr-Tees und Orgien des Schreibclubs.

 

Sogar ihm als mit allen Wassern gewaschenem Spaßmacher werden das Tohuwabohu und die animalischen Tischsitten beim Schreibclub manchmal zu viel. Doch wie pflegt Pippo Zanzani selbst zu sagen:

 

„Nur wer das Chaos in sich trägt, kann einen tanzenden Clown gebären“. 

 

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