Die Rose des Maharadscha

Die Legende von Prinzessin Shajahani

Dies ist die Geschichte der Prinzessin Aashiyana Adhira Shajahani, der einzigen Tochter des Maharadschas von Rajhastan, deren Schicksal sie dazu bewog, ihre Krone abzulegen und dem Reichtum ein Leben in Armut vorzuziehen.

 

Shajahani wuchs am Hofe des Großkönigs aus und lebte in einem Prunk, der selbst im Märchen ohne Beispiel ist. Statt mit Murmeln spielte sie mit Diamanten und ihre Puppen waren aus purem Gold. Sie schwelgte in ihren 36 Gemächern und gebot über 48 Sklaven und Pagen, die ihr jeden Wunsch von den Lippen ablasen. Jeden Tag badete sie in reiner Bambusmilch und ritt auf ihrem Elefanten Radha durch das Rosarium, das der Maharadscha eigens für sie anlegen hatte lassen. Man sagt, dass er ihr zum 14. Geburtstag einen Tempel schenkte, der ganz aus Lapislazuli war, und in dessen Bauch ihr ein gefälliger Bhuta Träume und Lustbarkeiten vorgaukelte, wann immer ihr danach verlangte. 

 

Die meiste Zeit verbrachte Shajahani jedoch in den Gärten des Palastes, wo sie mit den adeligen Kindern herumtollte und im Flirren der Hitze zwischen den Statuen von Ganesh und Vishnu Verstecken spielte. Im Herbst, wenn es Magnolienblüte regnete und der süße Duft die Luft schwängerten, saß sie im Schatten des Tamariskenbaumes und lauschte ihrer Gouvernante, die sie alles lehrte, was sie wissen musste. Wie gerne beobachtete sie der Maharadscha von der Terrasse aus wie sie mit ihrem stolz geschwungenem Mund die heiligen Verse sprach und mit jedem Tag klüger und schöner wurde. Sie glich der Königin aufs Haar, die viel zu früh von ihnen gegangen war. So ruhte er melancholisch auf dem Diwan, während ihm die Konkubinen Luft zufächelten und Minister wie Schnaken um ihn schwirrten. 

 

Eines Tages – die Prinzessin war zu einer liebreizenden, jungen Frau gereift und saß mit ihren Damen und Junkern beim Tee – fegte ein Windstoß durch den Garten und stob so ungestüm über die Tafel, dass er ihr den rosèfarbenen Fächer aus der Hand riss und über die Mauern des Palastes wirbelte. Ein Edelmann aus Kerala erbot sich sofort den Fächer zurückzuholen, aber Shajahani lachte nur und mit einer Selbstgefälligkeit, die nur einer Prinzessin eigen sein konnte, gebot sie den Anwesenden zu schweigen und verließ zum ersten Mal in ihrem Leben den Palast. 

 

Es war mittags, die heißeste Stunde des Tages, die Wachen schliefen und niemand bemerkte die Prinzessin, die durch das von Phönixen gesäumte Tor nach draußen stolzierte. Welch Staunen befiel sie, als sich Außenwelt vor ihren Augen auftat und sie die mannigfaltigen Gerüche, Geräusche und Farben schmeckte, die durch das Gewirr der Gassen Jodphurs schwappten. Männer in Purpur handelten mit Farben und Gewürzen und Schalen aus türkiser Jade, in denen sich würzig duftende Datteln mit Honig befanden. Frauen breiteten auf Bastmatten ihre Waren aus, geschliffenes Glas aus Kaschmir, weiße Linnen zur Bestattung der Toten und wundersame Gefäße aus Ton, aus denen ein leises Klagen nach draußen drang. In einem Haus begann jemand auf einer Bansuri zu spielen, deren Klang sich mit dem Kakophonie der Straße vermischte. Die Prinzessin zuckte zusammen, als neben ihr ein weißer Elefant trompetete und Orangen aus einem Korb zu fressen begann. 

 

Da sah sie ihren Fächer, der am Sims eines Fensters hängengeblieben war. Es grenzte an ein Wunder, dass ihn niemand genommen hatte, denn der Fächer war kostbarer als alle ausgebreiteten Waren zusammen. Shajahani drängte sich durch die Menge und griff nach der Quaste. Doch bevor sie diese zu fassen bekam, fegte erneut ein Windstoß durch die Gasse und der Fächer segelte einige Meter vor ihr zu Boden. Noch während sie darauf zueilte, schälten sich Kinder aus den Winkeln und Ecken, die vom Hunger verzehrt und verkrüppelt waren, und bleich lachende Opiumraucher krochen aus ihren Löchern, zusammen mit den Leprakranken und Hundsgesichtigen. Sie alle fingerten nach dem Fächer, genau so, wie sie sich Mäuse um Brotkrumen zankten bis sie vor Hunger starben und ihre Leichen wurden in den Fluss geworfen und mit dem Unrat aus der Stadt gespült. Da wurde die Prinzessin sehr traurig. „Welchen Wert hat der Fächer für mich?“, fragte sie sich.  „Ich kann hunderte davon haben, ja noch kostbarere und erlesenere als diesen hier. Welchen Wert hat der Fächer für jemanden, der nichts hat außer seine Eingeweide?“ 

 

Darauf verschenkte sie all ihren Besitz: Nicht nur den Fächer, auch ihre goldenen Reife, die juwelenbesetzten Ringe und zuletzt ihr Kleid aus golddurchwirktem Damast, das mit Diamanten und Rubinen bestückt war. Sie hüllte sich in einen einfachen Sari und verließ die Stadt. 

 

Die nächsten Jahrzehnte saß sie betend im Schatten eines Pappelbaumes, fern von der Stadt, dort wo der Wind in den Blättern tanzt und gewellte Hügel das Land durchziehen. Eulen nisteten in ihrem Haar und Siebenschläfer schliefen auf ihrem Schoß. Im Sommer verbrannte sie die Sonne und im Winter peitschte sie der Regen, aber die Prinzessin lächelte nur, denn sie weilte längst in anderen Welten. Lächelnd sah sie die bocksbeinigen Faune, die im Wald tanzten und das Einhorn, das mit seinem zierlichen Hörnlein über die moosbedeckten Lichtungen trabte und sie sah auch die kleinen Geschöpfe mit den brennenden Augen, die in den Kronen der Bäume hockten und zwischen den Blättern hervorlugten.

 

Der alte Maharadscha, der ihr Vater war und sie als sein einziges Kind abgöttisch liebte, war wenige Monate nach ihrem Verschwinden an einem gebrochenen Herzen gestorben. Als die Prinzessin Jahre später sein Mausoleum am Rande der Wüste Thar aufsuchte und über seinem Grab heiße Tränen vergoss, da bohrte sich – genährt vom Saft ihrer Tränen – ein Spross aus der Erde und entfaltete eine zierliche Blüte, die – zunächst noch weiß und bleich wie ein Leichentuch – mit der Zeit immer röter wurde und schließlich zur rötesten Rose ganz Indiens erblühte, fast so wie das geborstene, blutende Herz des Maharadschas, das darunter in der Erde ruhte. Und die Rose erstrahlte in einem wilden purpurnen Glanz, heißer und röter als es der kostbarste Rubin in der Krone des Maharadschas je gewesen war. 

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